Kreishaushalt 2023/24 beschlossen
Landrat Scherer: „Halten an einer nachhaltigen, streng an den Maximen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Haushaltspolitik fest
Trotz ständig ändernder Rahmenbedingung habe die Kreisverwaltung aber einen Haushalt vorgelegt, mit dem die Herausforderungen der nächsten zwei Jahre gemeistert werden können. Das sahen auch die Mitglieder des Kreistags so und gaben mit sehr großer Mehrheit grünes Licht. „Ich freue mich über die Entscheidung des Kreistags, damit können wir im Wesentlichen an unseren Kurs einer nachhaltigen, streng an den Maximen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Haushaltspolitik festhalten und handlungsfähig bleiben“, betonte Scherer, der trotz aller Unwägbarkeiten davon überzeugt ist, dass der Ortenaukreis die finanziellen Herausforderungen der Zukunft meistern wird. „Wir stehen vergleichsweise noch gut da, weil Kreispolitik und Verwaltung schon in den vergangenen Jahren immer sehr wirtschaftlich, strategisch und nachhaltig agiert haben“, erklärte der Landrat und verwies darauf, dass das das Landratsamt bei den landesweiten Verwaltungskosten eine Spitzenposition einnehme. „Wir haben bei freiwilligen Leistungen große Zurückhaltung geübt und sind einen sehr konsequenten Entschuldungskurs bis hin zur faktischen Schuldenfreiheit gefahren.“ Weil die Krise die Städte und Gemeinden aufgrund der kommunalen Finanzierungssystematik in den nächsten zwei Jahren stärker als den Kreis treffen werde, folgte das Gremium auch Scherers Vorschlag, „in diesen schwierigen Zeiten die Kreisumlage auf dem jetzigen Niveau von 28,5 Prozent zu halten und so einen wichtigen Stabilitätsbeitrag für unsere Städte und Gemeinden zu leisten.“ Seit über einem Jahrzehnt habe der Ortenaukreis einen Kreisumlage-Hebesatz, der immer und zum Teil deutlich unter dem Landesdurchschnitt liege, betonte Scherer. Auch 2022 liegt der Ortenaukreis mit einer Kreisumlage von 28,50 Prozentpunkten deutlich unter dem durchschnittlichen diesjährigen Kreisumlagehebesatz aller Landkreise in Baden-Württemberg von 29,65 Prozent.
Mit rund 490 Millionen Euro pro Jahr machen die Sozialausgaben einschließlich der Flüchtlingskosten erneut mehr als zwei Drittel des Haushaltsvolumens aus – Tendenz steigend. Schon lange reiche zur Deckung das Aufkommen aus der Kreisumlage nicht mehr aus. In den vergangenen Jahren habe sich die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen nicht wesentlich weiter geöffnet, weil die Konjunktur für entsprechende Mehreinnahmen gesorgt habe. „Das wird sich mit der Rezession ändern, dieses strukturelle Defizit wird sich massiv vergrößern“, mahnte Scherer, der vorrechnete, dass sich der gesamte Zuschussbedarf aus Kreismitteln im Sozialbereich von 229 Millionen Euro im Jahr 2022 auf 274 Millionen Euro im Jahr 2024 verändert hat. Damit hat sich der Zuschussbedarf gegenüber dem letzten Doppelhaushalt um 45 Millionen Euro erhöht. „Die Ursachen hierfür liegen weniger in den gesellschaftlichen Entwicklungen als vor allem darin begründet, dass die Gesetzgeber immer weitergehende Anspruchsgrundlagen und höhere Standards festlegen. Hinzu kommen die aktuellen Auswirkungen des Ukrainekriegs, wodurch sich der Anstieg der Sozialausgaben zusätzlich beschleunigt. Perspektivisch werden wir diese Kostensteigerungen ohne zusätzliche Unterstützung durch Bund und Land nicht mehr tragen können“, machte Scherer klar, auch weil der Kreis dabei selbst wenig beeinflussen könne, seien es doch fast ausnahmslos Pflichtaufgaben in den Bereichen Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege und Jugendhilfe. „Hinzu kommen weitere Bereiche, in denen der Landkreis aufgrund gesetzlicher Vorgaben immer mehr Leistungen mit mehr Personalbedarf aber ohne ausreichende Mittel von Bund und Land erbringen muss, wie etwa im Betreuungsrecht, Sozialen Entschädigungsrecht oder beim Wohngeld.“ Die Zeit eines ungebremsten Draufsattelns bei Standards, Rechtsansprüchen und staatlichen Leistungszusagen müsse endgültig vorbei sein. Es bedürfe sofort eines Entfesselungspakets, das Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus dem überregulierten Gesetzesrahmen befreie, wiederholte Scherer die gemeinsame Forderung von Wirtschaft, Landkreisen, Städten und Gemeinden an Ministerpräsident Kretschmann.
Wo der Kreis selbst handeln können, werde er weiter mutig vorangehen. Das Abbauen von Standards, Hinterfragen von Leistungen, die Differenzierung zwischen vorrangig und nachrangig sei jedoch auch eine Gratwanderung. „Denn auf der anderen Seite müssen wir als öffentlicher Dienstleister handlungs- und leistungsfähig bleiben, müssen Verlässlichkeit und Stabilität geben können und dürfen die Faktoren, die für unsere Gesellschaft und ihren Zusammenhalt, unsere Umwelt und nicht zuletzt unsere Wirtschaft entscheidend sind, nicht vernachlässigen“, so der Landrat.
Die Ortenau bleibe eine wirtschaftlich starke Region mit hoher Lebensqualität. „Unser kreispolitischer Anspruch muss es sein, die Attraktivität dieses Standortes zu halten und in einzelnen Bereichen trotz allem auch weiter voran zu bringen. Dafür müssen wir weiter investieren, insbesondere in unsere Schulen, in den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, in die Breitbandversorgung, die Verkehrsinfrastrukturen und nicht zuletzt in eine optimale Gesundheitsversorgung“, machte Scherer klar. Aufgrund der von Scherer geschilderten Gesamtlage musste der Kreis sein Investitionsprogramm gegenüber dem ursprünglichen Finanzplan deutlich reduzieren. Alle Investitionen wurden nochmals auf ihre unabweisbare Erforderlichkeit und Dringlichkeit geprüft. „So haben wir insgesamt rund 25 Millionen Euro in die Folgejahre verschoben, das bedeutet für die Kreiskasse eine Nettoentlastung von rund 17 Millionen Euro“, so Scherer. „Investitionen in Bildung haben aber weiterhin eine hohe Priorität, im Interesse unserer Schülerinnen und Schüler und unserer Unternehmen. Denn hier wirkt der Kreis als wichtiger Standortmotor“. Das 2013 begonnene Sanierungsprogramm für die Schulgebäude des Kreises wird deshalb mit 9,2 Millionen Euro fortgeführt, hauptsächlich für die Beruflichen Schulen in Kehl, die Gewerblichen Schulen in Lahr, das Kreisschulzentrum und die Helme-Heine-Schule in Offenburg sowie die Renchtalschule Oberkirch.
Mit der Umsetzung des größten Finanzvorhabens der Kreisgeschichte, der Agenda 2030, liege man gut im Zeitplan. „Die ersten Bagger werden schon während des kommenden Doppelhaushalts anrollen. Wir setzen damit eine Klinikreform um, die landes- und bundesweit als Leuchtturmprojekt gilt und Minister Lucha hat uns dafür wiederholt Förderung von 60 Prozent in Aussicht gestellt. Deshalb haben wir diesen Fördersatz nun auch in unserem Finanzierungsmodell berücksichtigt“, erklärte Scherer. Statt 597 Millionen Euro bei einer 50-prozentigen Förderung werden somit voraussichtlich 517 Millionen Euro an Kreismitteln erforderlich. Dass das Land zu seinen Zusagen stehe, zeige schon die Aufnahme der Planungskosten für die weiter vorangeschrittenen Neubauvorhaben in Achern und Offenburg in das Landeskrankenhausbauprogramm.
Bis Ende 2024 werde die Liquidität des Kreises - auch wegen der Agenda 2030 - auf Null geführt. Erstmals seit vielen seit vielen Jahren müsse der Kreis 2023 wieder Kredite in Höhe von voraussichtlich 11,2 Millionen Euro aufnehmen. „Das ist sicherlich ein Wermutstropfen, die der Landkreis meines Erachtens aber schlucken muss, um eine hochwertige Gesundheitsversorgung zu sichern und seine Kommunen leistungsfähig zu halten“, sagte der Landrat.
Für die Umsetzung des Finanzierungsmodells sieht der neue Doppelhaushalt jährlich 15 Millionen Euro für den Baufonds „Agenda 2030“ und 2 Millionen Euro für den sogenannten Baufonds „Modell Landrat“ vor. Bereits in den kommenden beiden Haushaltsjahren werden die Zentren für Gesundheit in Oberkirch, Gengenbach und Ettenheim eröffnet. „Dort werden wir die ambulante und pflegerische Versorgung mit modernen und leistungsfähigen Angeboten deutlich verbessern. Für diese sogenannte zweite Säule sind im Doppelhaushalt 4,8 Millionen Euro für Investitionen und zur Übernahme von vorauskalkulierten Defiziten vorgesehen“, so Scherer.
Mit Aufwendungen in Höhe von 65,2 Millionen Euro gegen über 55,6 Millionen Euro (Steigerung von 17 Prozent), erfährt der öffentliche Nahverkehr erneut eine deutliche Steigerung, nachdem die Mittel bereits im letzten Doppelhaushalt um 46 Prozent erhöht wurden. „Mobilität ist ein Grundbedürfnis der Bevölkerung und gerade in unserem ländlichen Raum von besonderer Bedeutung. Wer die Verkehrswende wirklich will, der darf deshalb im Ländlichen Raum nicht kleckern, sondern muss gerade hier klotzen“, verdeutlichte Scherer. Dafür müssten aber auch Bund und Land ihren Beitrag leisten, so mache die Einführung eines vergünstigten Deutschlandtickets nur dann Sinn, wenn gleichzeitig der Bestand des Nahverkehrsangebots gesichert und der weitere Ausbau gerade im Ländlichen Raum möglich bleibe. „Ein Billigticket für ein schlechteres Angebot hilft bei der Verkehrswende überhaupt nicht. Genau dieses Risiko besteht aber jetzt und wir können nur hoffen, dass es sich nicht realisiert“, so der Landrat. Das Radwegeprogramm des Kreises mit mindestens sechs Kilometern neuer Radwege pro Jahr ebenso fortgeführt wie die Sanierung von Kreisstraßen und Brücken mit Investitionen in Höhe von rund 24 Millionen Euro.
Weiterhin ein Top-Thema für den Ortenaukreis bleibe der Klimaschutz. „Das ist für uns schon lange keine Kür mehr, sondern Pflicht und umfasst grundsätzlich alle Bereiche des Landratsamts - von der Gebäudesanierung über Ökostrom, blühende Straßenränder, den Amphibienschutz, den Energy Award, LEV- und Leader-Zuschüsse, die Genehmigung von Wind- und Wasserkraftanlagen, die Beratung für ökologische Landwirtschaft bis hin zur Subventionierung des ÖPNV und den Bau von Radwegen“, erläuterte Scherer. „Betrachtet man unsere Aktivitäten in diesen Bereichen, so addieren sich in diesem Haushaltsplanentwurf rund 76 Millionen Euro für Maßnahmen, die dem Klimaschutz dienen“; machte Scherer deutlich.
Um ein Standortmotor bleiben zu können, müsse der Ortenaukreis seinen Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen, Städten und Gemeinden auch in den kommenden schwierigen Zeiten gute Dienstleistungen anbieten können. Gerade in diesem behördlichen Dienstleistungsbereich dürfe in der Krise nicht an der falschen Stelle gespart werden. „Aber auch hier fordert die schwierige Gesamtlage von uns, dass wir besonders genau prüfen mussten, welche Stellen wirklich erforderlich sind und nur diese haben wir auch eingeplant“, betont der Landrat.
Der nun verabschiedete Stellenplan beläuft sich auf 113 neue Stellen. Einerseits konnten 54 Stellen abgebaut werden, die im Zuge der Corona-Pandemie hinzukamen, andererseits werden zur insbesondere Bewältigung der Flüchtlingskrise 88 neue Stellen, davon wiederum 27 Stellen aufgrund des Rechtskreiswechsels der Flüchtlinge aus der Ukraine, benötigt. Diese Stellen sind zum Großteil voll- oder teilweise gegenfinanziert. „Wenn ich die Stellen abziehe, die wir wegen der Flüchtlingskrise und aufgrund von neuen Bundes- oder Landesvorgaben brauchen, verbleiben gerade mal 23,5 neue Stellen, die wir selbst für dringend erforderlich halten, um unsere Aufgaben erfüllen zu können“, erklärte Scherer und nannte dabei die Bereiche Einbürgerung, Straßenverkehr, ÖPNV, Kommunaler Sozialer Dienst, Eingliederungshilfe, Jugendhilfe im Strafverfahren sowie Brand- und Katastrophenschutz.
Die Personalkosten des Ortenaukreises liegen 2022 bei rund 131 Millionen Euro und machen rund 20 Prozent des Haushaltsvolumens aus. Damit liegen sie erneut unter dem Landesdurchschnitt.
„Das heute beschlossene Ergebnis kann sich sehen lassen und einerseits die Zuversicht vermitteln, dass wir das alles schaffen können – andererseits macht es aber auch klar, dass es in Baden-Württemberg und Deutschland rasch weitgehender Reformen bedarf“, schloss Scherer.
Stellungnahme der Kreistags-Fraktionen:
„Wir tragen Verantwortung für unseren Ortenaukreis in verletzlichen Zeiten“, betonte Thorsten Erny, Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion. „Die CDU-Fraktion macht deutlich: Wir wollen verlässlich sein und Stabilität geben. Wir tragen die Verantwortung für Mensch, Umwelt und Klimaschutz mit.“
Christian Huber, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im Kreistag, sagte: „Der vorliegende Haushaltsentwurf und Stellenplan löst aus heutiger Sicht auf optimale Weise das Spannungsfeld zwischen Krisenmodus, Investitionsnotwendigkeit und zukunftsorientierter Entwicklung. Er berücksichtigt notwendige Investitionen ebenso, wie er durch eine vernünftige Finanzplanung hinsichtlich Kreisumlage und Neuverschuldung den Spagat zwischen kommunaler und Kreis- Finanzierung schafft. Der Entwurf schafft die notwendigen Spielräume für die Klinikreform und setzt die fundierte Planung vergangener Jahre auch in den Jahren 2023 und 2024 fort. Ebenso wird mit der Personalplanung den neuen Anforderungen insbesondere im Sozialbereich ausreichend Genüge getan, mit entsprechend Rücksicht auf die vom Land in diesem Bereich nicht ausreichend berücksichtigter Konnexität. Die Glaskugel, die immer vor der Aufstellung eines Haushalts bemüht werden muss, ist unter anderem durch den Krieg in der Ukraine, durch die Corona-Nachwirkungen, durch steigende Zinsen und Baupreise und durch mögliche Konjunktureinbrüche deutlich trüber als dies in der Vergangenheit war. Und dennoch gelingt mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf aus Sicht der Freien Wähler die Berücksichtigung aller möglichen Faktoren nach bestem Wissen und Gewissen.“
Alfred Baum, Fraktionschef der Grünen im Kreistag, erklärte: „Die Rezession, steigende Energiekosten und die Folgen von Putins Angriffskrieg bieten uns wenig Spielraum. Trotzdem belassen wir die Kreisumlage, um die Kommunen zu entlasten, stehen zu den enormen Investitionen der Agenda 2030 und kommen unseren weiter steigenden Verpflichtungen im Sozialbereich und in der Flüchtlingshilfe nach.
Wir befürworten die vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen von Schulgebäuden und den Neubau moderner Verwaltungsgebäude, fordern jedoch deren klimagerechte Umsetzung ein. Eine sehr kritische bis ablehnender Haltung findet sich in unserer Fraktion zu den geplanten Neubauten von Kreisstraßen. Diese Gelder wären nach unserer Auffassung in der Verbesserung der Taktung im Nahverkehr besser angelegt.“
Kai-Achim Klare, Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion, unterstrich: „In einem extrem schwierigen ökonomischen Umfeld findet der vorliegende Doppelhaushalt die richtige Balance zwischen Chancen und Risiken und zwischen Investitionen und Schuldenaufnahme. Die konstante Kreisumlage ist zugleich als Konjunkturpaket für die Kommunen zu sehen, die noch vor dem Kreis von den Auswirkungen der Krisen getroffen werden. Ziel für die nächsten Jahres muss es sein, die Ausprägung eines strukturellen Defizits zu verhindern, um die weiterhin großen Investitionen vor allem im Gesundheitswesen, aber auch beim Klimaschutz und den Schulsanierungen stemmen zu können.“
Sven Rothmann, Vorsitzender der AfD-Kreistagsfraktion, verdeutlichte: „Wir respektieren und schätzen die Arbeit der Verwaltung und aller an diesem Haushalt Beteiligten und sehen gute Ansätze und Chancen. Allerdings werden wir keine Maßnahmen mehr unterstützen, die uns von Land und Bund vorgegeben werden und unserem Kreis und seinen Bürgern keinen Nutzen versprechen. Steuergeld, das unsere Bürger erarbeitet haben, werden wir nicht weiter für kostspielige und bürgerferne Experimente opfern.“
FDP-Fraktionschef Carsten Erhardt machte deutlich: „Der Kreishaushalt ist ein Spiegel der Leistungsfähigkeit unseres Ortenaukreises. Da sich die finanziellen Spielräume sehr wahrscheinlich verkleinern werden, müssen wir nun in die Aufgabenkritik einsteigen. Ziel muss es sein, die Ausgaben zu durchleuchten und entsprechende Weichen zu stellen.“