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Datum: 07.09.2021

Prävention ist auch guter Kinderschutz
Die Frühen Hilfen und das Präventionsnetzwerk Ortenaukreis als Grundlagen der kommunalen Präventionsstrategie des Ortenaukreises

„Die frühe Kindheit stellt grundlegende Weichen für ein gesundes Aufwachsen und eine gesunde Entwicklung für Kinder von Anfang an. Deswegen sollten Prävention und Gesundheitsförderung nicht erst dann beginnen, wenn Probleme auftauchen, sondern bereits so früh wie möglich für alle Kinder und Familien angeboten werden, möglichst bereits in der Schwangerschaft“, so Ullrich Böttinger, Leiter des Amts für Soziale und Psychologische Dienste des Ortenaukreises. Eine gelingende Eltern-Kind-Bindung im ersten Lebensjahr stelle laut Böttinger den besten Schutz vor Vernachlässigung dar. Die Stärkung von Eltern und ihren Säuglingen und Kleinkindern sei daher eine grundlegende Komponente einer Präventionsstrategie, die zugleich fördert, aber auch schützt.

Vor diesem Hintergrund hat der Ortenaukreis bereits 2009 die Frühen Hilfen für Eltern mit Säuglingen und Kindern bis drei Jahre sowie für werdende Eltern eingerichtet. „Kinder machen viel Freude, können aber auch Belastungen mit sich bringen, insbesondere, wenn schon Erschwernisse wie Erkrankungen, materielle Problemlagen oder Überforderungen, etwa bei Mehrlingsgeburten, vorhanden sind. „Mit den Frühen Hilfen haben wir ein großartiges und sehr erfolgreiches Unterstützungsprogramm für alle Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern eingerichtet“, so Böttinger. „Aus heutiger Sicht ist es überhaupt nicht mehr vorstellbar wie diese so wichtige Unterstützung in diesem Lebensabschnitt ohne die Frühen Hilfen möglich sein könnte. Damit wurde eine riesige Bedarfslücke geschlossen“, so der Amtsleiter weiter. Bis heute haben sich die Frühen Hilfen rasant entwickelt und unterstützen jährlich inzwischen in rund 600 Fällen Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern bis zu drei Jahren sowie werdende Eltern.

Im Zentrum der Frühen Hilfen stehen die fünf Fachstellen Frühe Hilfen in Achern, Haslach, Kehl, Lahr und Offenburg. Sie sind dort an die jeweiligen Psychologischen Beratungsstellen für Eltern, Kinder und Jugendliche angebunden und arbeiten in kleinen multiprofessionellen Fachteams mit den Professionen Psychotherapie, Psychologie, Soziale Arbeit, Heilpädagogik und frühe Kindheit. Hinzu kommt die Babysprechzeit im jetzigen Childhood-Haus, der ehemaligen Kinderschutzambulanz am Ortenau Klinikum.

Ergänzend zu Beratung, Diagnostik und therapeutischer Unterstützung können die Fachkräfte der Frühen Hilfen zugehende Hilfen einsetzen, um Familien direkt im häuslichen Umfeld vor Ort unterstützen zu können. Je nach Bedarf im Einzelfall können etwa Familienhebammen, Familiengesundheits- und Krankenpflegerinnen, Frühe Familienhilfen (FFH) oder Fachkräfte für Alltagsbewältigung in der Familie (FAF) zum Einsatz kommen. Alle Unterstützungsangebote der Frühen Hilfen sind freiwillig, kostenfrei und unterliegen der Schweigepflicht. „Dank eines umfassenden Netzwerks aus Fachkräften und Institutionen der Jugendhilfe und des Gesundheitswesens kann den Familien ein passgenaues Hilfsangebot gemacht werden“, so Böttinger. Im Netzwerk arbeiten Gynäkologen, Kinderärzte, Hebammen, Kindertageseinrichtungen, Schwangerschaftsberatungsstellen, Suchtberatungsstellen, Erziehungsberatungsstellen, die Kommunalen Sozialen Dienste des Jugendamts sowie viele weitere Akteurinnen und Akteure zusammen.

Besonders wichtig sei laut Böttinger die frühe Erreichbarkeit der Familien, um von Anfang an zu unterstützen, aber auch Belastungen und etwaige Gefährdungen erkennen zu können. Die Frühen Hilfen arbeiten daher sehr eng mit allen Geburtskliniken im Ortenaukreis zusammen. Seit Anfang 2021 sind dazu am Ortenau Klinikum Offenburg-Gengenbach erstmals zwei Babylotsinnen eingesetzt, die alle Mütter und nach Möglichkeit auch die Väter ansprechen, über die Frühen Hilfen informieren und gegebenenfalls in die Fachstellen Frühe Hilfen empfehlen oder überleiten können. „In aller Regel nehmen Eltern diese Angebote sehr gerne an und informieren auch andere Eltern darüber. Die Frühen Hilfen haben ein sehr positives Image bei den Familien im Ortenaukreis. Deswegen kommt es häufig zur sogenannten „Mund-zu-Mund“ Propaganda. Besser kann ein Zugang in die Frühen Hilfen eigentlich gar nicht funktionieren“, so Böttinger.

Aufbauend auf dem Erfolg der Frühen Hilfen, ergänzt das Präventionsnetzwerk Ortenaukreis (PNO) seit 2014 die Angebote. Das PNO fördert die körperliche und seelische Gesundheit sowie die soziale Teilhabe aller Kinder bis zum zehnten Lebensjahr und ihrer Familien. Um möglichst alle Kinder zu erreichen arbeitet das PNO dazu eng mit den Kindertageseinrichtungen und Schulen im Ortenaukreis zusammen.

Sowohl kleinere bedarfsorientierte Fortbildungen, als auch eine umfassende 18-monatige Qualifizierung sollen Erziehenden und Lehrkräften eine gesundheitsförderliche Ausrichtung des pädagogischen Alltags ermöglichen. Schwerpunkte sind etwa die Themen Resilienz sowie der Umgang mit Kindern kranker Eltern oder herausforderndem Verhalten. Über 80 Prozent aller Kindertageseinrichtungen im Ortenaukreis sowie über 50 Prozent aller Schulen mit Kindern bis zum zehnten Lebensjahr haben inzwischen an intensiven Angeboten des PNO teilgenommen und beteiligen sich immer wieder auch an neuen Fortbildungen.

Auch die Themen Kinderarmut und Kindergesundheit haben in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. An den Pilotstandorten Offenburg und Lahr hat der Ortenaukreis über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren Modellprojekte mit den Schwerpunkten Sensibilisierung der Fachkräfte sowie Abbau von Hemmschwellen bei der Inanspruchnahme möglicher Hilfen durchgeführt. „Kinderarmut heißt immer auch Familienarmut und führt zu erheblich schlechteren Startchancen und erhöhten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Risiken. In der Corona Pandemie hat sich in der sogenannten Copsy-Studie gezeigt, dass Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien nochmals in deutlich stärkerem Maße als andere Kinder psychische Belastungen und Erkrankungen entwickelt haben. Auch im Ortenaukreis besteht hier hoher Handlungsbedarf“, so Böttinger. Das Thema Kinderarmut wird daher ein dauerhaftes Thema im Rahmen der kommunalen Präventionsstrategie des Ortenaukreises sein. „Die Frühen Hilfen und das PNO stellen wesentliche Säulen eines präventiven Kinderschutzes dar und bilden die Grundlage der kommunalen Präventionsstrategie des Ortenaukreis. Wir beginnen zum fachlich und ökonomisch richtigen und wichtigen Zeitpunkt in der ganz frühen Kindheit. Kinderschutz beginnt nicht erst dann, wenn bereits gewichtige Anhaltspunkte für Gefährdungen bestehen. So kann es gelingen, dass Belastungen nicht zu Gefährdungen werden“, so der Amtsleiter.