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Datum: 18.03.2021

Ortenaukreis erlässt auf Weisung des Sozialministeriums Allgemeinverfügung
Lockerungen im Einzelhandel müssen zurückgenommen werden

Auf Weisung des Sozialministeriums Baden-Württemberg von Mittwochabend, 17. März 2021 um 21. 04 Uhr, müssen die Lockerungen im Ortenaukreis teilweise wieder zurückgenommen werden, weil das Sozialministerium anders als das Gesundheitsamt des Ortenaukreises das Infektionsgeschehen im Landkreis als diffus bewertet.

„Am 11. Februar haben wir die nächtliche Ausgangssperre nicht wieder eingeführt bei einer ähnlichen Inzidenz wie heute. Damals hat unser Gesundheitsamt bereits kein diffuses Infektionsgeschehen feststellen können, weil insbesondere aufgrund der uneingeschränkt möglichen Kontaktpersonennachverfolgung und der extensiven Teststrategie ein guter Überblick über das Infektionsgeschehen bestand“, informiert Landrat Frank Scherer. „         Unserer Begründung ist das Sozialministerium damals gefolgt - seitdem hat sich nichts geändert, außer dass die Inzidenz gesunken ist und vier Wochen deutlich unter 50 lag, am 11. März dann erstmals wieder knapp über 50. Wir bewerten diese Inzidenzwerte jedoch dahingehend, dass sie nicht die Feststellung der Überschreitung nach der Vorschrift rechtfertigen“, erklärt der Landrat, der seine Kritik an der Vergleichbarkeit von Inzidenzwerten zwischen den Landkreisen erneuert. „Die Vergleichbarkeit ist sehr eingeschränkt, weil der absolute Wert der Neuinfektionen natürlich auch davon abhängig ist, wie viele Personen insgesamt getestet werden. Wenn diese Grundgesamtheit aller Tests aber nicht bekannt ist, kann keine Positivenquote errechnet werden. Die Inzidenzwerte in den Kreisen sind also statistisch nicht valide und können deshalb meines Erachtens nur ein Indikator für Entscheidungen in grundrechtsrelevanten Bereichen sein“, so Scherer. „Wegen dieser nicht gegebenen Vergleichbarkeit und zur Vermeidung eines „Freiheitstourismus“ hätte ich mir keinen Flickenteppich sondern landesweite Regelungen gewünscht. Wenn es nun aber schon so ist wie es ist, dann ist zumindest dieser Ermessensspielraum für die einzelnen Kreise unabdingbar, denn wenn wie bei uns ein guter Überblick über das Infektionsgeschehen besteht, entfällt die Rechtfertigung für Einschränkungen allein aufgrund der Überschreitung eines statistisch nicht hinreichend validen Wertes“, erklärt Scherer.
Liegen Landkreise in Baden-Württemberg an drei aufeinanderfolgenden Tagen über einer Inzidenz von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner, müssen die Gesundheitsämter neu bewerten und prüfen, ob ein diffuses Infektionsgeschehen vorliegt und daraus gegebenenfalls Maßnahmen ableiten, die dann am zweiten darauffolgenden Werktag nach der ortsüblichen Bekanntmachung gelten. Paragraf 20 der Corona-Verordnung erlaubt Behörden bei bestimmten Gründen jedoch Ausnahmen von den Regeln in der Corona-Verordnung zu machen. „Bei der Bewertung der Inzidenzwerte kann das Gesundheitsamt die Diffusität des Infektionsgeschehens angemessen berücksichtigen“, gibt Paragraf 20 Abs. 7 vor.

Landrat Frank Scherer hat deshalb bereits am Sonntag (14. März) in einem Schreiben an Gesundheitsminister Manfred Lucha um Einvernehmen ersucht, das Infektionsgeschehen im Ortenaukreis als nicht-diffus zu bewerten. „Die Situation in den ist Kliniken stabil, eine Überlastung der intensivmedizinischen Versorgung im Ortenaukreis ist selbst bei stark steigenden Fallzahlen nicht zu befürchten. Weder der stationäre noch der ambulante Bereich der Gesundheitsversorgung sind derzeit im Ortenaukreis überlastet. Auch werden bereits alle impffähigen Pflegeheimbewohner über 80 Jahre bis Ende März beide Schutzimpfungen erhalten haben. Das Gesundheitsamt des Ortenaukreises hat nach wie vor einen sehr guten Überblick über das Infektionsgeschehen aufgrund intensiver Testungen und einer gut funktionierenden, breit gefächerten Kontaktpersonennachverfolgung. Mit dem vorhandenen Personaleinsatz kann das Gesundheitsamt auch bei Inzidenzen deutlich über 50 noch jeden Kontakt ohne Qualitätsverluste nachverfolgen und die Kontaktpersonen zeitnah ermitteln“, begründet Scherer. „Dazu können Einrichtungen mit besonderem Ausbruchsgeschehen schnell erkannt und die erforderlichen Maßnahmen spezifisch ergriffen werden. Mehr als die Hälfte der neuen Fälle sind dem Gesundheitsamt zudem bereits bekannte Kontaktpersonen der Kategorie 1. Dies zeigt, dass für die richtigen Personen eine Quarantäne ausgesprochen wird und diese frühzeitig isoliert werden. Zudem hat das Gesundheitsamt seine Empfehlungen und Hinweise ständig weiterentwickelt, insbesondere zum Schutz von vulnerablen Gruppen. Aus diesen Gründen kann das Gesundheitsamt des Ortenaukreises nach wie vor kein diffuses Infektionsgeschehen im Ortenaukreis feststellen“, macht der Landrat deutlich.

Auch die erst am 12. März nachgeschobene Begründung dieser Vorschrift könne aus Sicht des Kreises die Bewertung des Infektionsgeschehens im Ortenaukreis als „nicht-diffus“ nicht ändern. Zum einen müsse nach wie vor in erster Linie der Wortlaut der eigentlichen Rechtsvorschrift maßgeblich sein, zum anderen könne eine nachgeschobene Begründung keine unmittelbare Rechtswirkung wie die Rechtsvorschrift selbst erlangen. Daher seien die in der Begründung enthaltene Einvernehmensregelung und die Ausführungen zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Diffusität lediglich als verwaltungsinterner Erlass einzuordnen.

„Dieser Erlass verkennt die Tragweite des Begriffs der Diffusität und verengt seine Auslegung auf ganz bestimmte, zu eng definierte Fallkonstellationen“, erläutert Scherer. Der Begriff der Diffusität eines Infektionsgeschehens sei insbesondere auch vor dem Hintergrund des Sinns und Zwecks der 50er-Inzidenz als gesetzlicher Schwellenwert auszulegen. „Das Infektionsschutzgesetz geht in diesem Fall davon aus, dass die Gesundheitsämter in der Regel nicht mehr die Kontakte ausreichend nachverfolgen können und dann keinen Überblick mehr über das Infektionsgeschehen haben. Aber eben diese individuelle Kontaktnachverfolgung ist im Ortenaukreis nach wie vor gewährleistet“, wiederholt Scherer.

„Wenn das Gesundheitsamt also einen guten Überblick über das Geschehen hat und keine Anhaltspunkte dafür sieht, dass die zusätzlichen Öffnungen, die derzeit bei einer Inzidenz unter 50 zulässig sind, einen besonderen Beitrag zum Infektionsgeschehen leisten, sind Verschärfungen in diesem Bereich unverhältnismäßig“, fasst Scherer zusammen. So wurde eine vergleichbare Regelung der saarländischen Corona-VO zu Beschränkungen im Einzelhandel durch Beschluss des Oberverwaltungsgericht des Saarlandes vom 9. März 2021 wegen Unverhältnismäßigkeit außer Vollzug gesetzt.
„Nachdem das Sozialministerium folgerichtig unsere gleichlautende Begründung zur nicht gegebenen Diffusität im Rahmen der Prüfung regionaler Ausgangsbeschränkungen am 11. Februar nicht beanstandet hat, wurde unser Ersuch nun leider versagt. Warum, erschließt sich mir nicht. Der Einzelhandel ist jedenfalls kein besonderer Treiber der Pandemie, die dortigen Hygienekonzepte funktionieren“, zeigt sich Scherer enttäuscht, der betonte, die Weisung des Sozialministerium sofort per Allgemeinverfügung umzusetzen und gleichzeitig dagegen zu remonstrieren, also in seiner Einwendung gegen die Entscheidung der übergeordneten Behörde erklärt, dass er deren Auffassung nicht teilt und sie unter rechtlichen Gesichtspunkten für nicht richtig hält.

Ab Samstag, 20. März 2021, gelten im Ortenaukreis folgende strengere Regelungen:

Einzelhandel und Geschäfte: Der Einzelhandel darf nur noch „Click&Meet“ anbieten. Das bedeutet, dass Kunden einen Termin ausmachen und in einem festgelegten Zeitfenster dann vor Ort im Laden einkaufen und sich beraten lassen können. Auch hier gelten bestimmte Beschränkungen: Es darf nur ein Kunde pro 40 Quadratmeter im Geschäft sein. Auch hier gilt Maskenpflicht.
Kultur- und Freizeiteinrichtungen: Museen, Galerien, botanische und zoologische Gärten sowie Gedenkstätten dürfen öffnen, allerdings müssen Kunden vorab einen Termin buchen und ihre Kontaktdaten hinterlegen. Dasselbe gilt für Bibliotheken, Archive und Büchereien.
Sport: Sportanlagen und Sportstätten im Freien und in geschlossenen Räumen (Schwimmbäder ausgenommen) können betrieben werden. Dabei gelten die Regeln, dass nur kontaktarmer Freizeit- und Amateurindividualsport erlaubt ist – allerdings gelten hier angesichts der Personenzahl die gleichen Regeln wie bei privaten Treffen.
Kontaktarmer Sport in Gruppen von bis zu 20 Kindern (einschließlich 14 Jahre) ist nur im Freien erlaubt. Umkleiden, sanitäre Anlagen, Gemeinschaftseinrichtungen und Aufenthaltsräume dürfen aber nicht genutzt werden. Boots- und Flugschulen dürfen öffnen, allerdings muss bei der praktischen Ausbildung eine Maske getragen werden, theoretischer Unterricht muss online stattfinden.
Kunst- und Musikschulen: Einzelunterricht und Unterricht von Gruppen von bis zu fünf Kindern (bis einschließlich 14 Jahre) ist nicht mehr möglich.

Es werden nur die Bereiche genannt, in denen es zuvor zusätzliche Lockerungen wegen der stabilen 7-Tage-Inzidenz unter 50 gab. Es gelten uneingeschränkt die Regelungen der Corona-Verordnung des Landes.

Die entsprechende Allgemeinverfügung hat der Ortenaukreis am 18. März 2021 erlassen und ist über https://www.ortenaukreis.de/Landkreis-Verwaltung/Bekanntmachungen/ abrufbar.

Übersicht der der geschlossene und geöffneten Einrichtungen und Aktivitäten: https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/Coronainfos/210310_Liste-offen-geschlossen.pdf

Für den Ortenaukreis gilt die Spalte “Inzidenz unter 100“.